Martin Schumacher, Kulturdezernent
Grußwort zur Ausstellungseröffnung „Displaced Person“ am 24.10.2015 um 17 Uhr
Gebäude Haus 1 auf dem Ermekeilgelände
Sehr geehrte Frau Neumann-Kronenberg,
sehr geehrte Frau Janssen,
sehr geehrter Herr Dr. Sabel,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte mich zunächst bei meinen Vorrednern bedanken! Sie haben genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit dieser Ausstellung die Möglichkeit zur künstlerischen Auseinandersetzung mit einem zentralen Thema unserer Zeit geschaffen. In welchem Ausmaß die Flüchtlingssituation auch unsere Lebenswirklichkeit beeinflussen wird, können wir noch gar nicht ermessen.
Umso wichtiger ist es, den Blick auf die Situation derer gerichtet zu halten, die ihre Heimat, ihre Wurzeln zurück lassen mussten, um die Chance auf eine bessere Zukunft zu erhalten.
Viele von uns haben Familienangehörige, die während und nach dem zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten, und an einem anderen Ort, meist unter schwierigen Bedingungen, neu anfangen mussten.
Die Ermekeilkaserne war übrigens ab 1949 u. a. auch Sitz des Bundes-vertriebenenministeriums.
Die berühmte Kulturanthropologin Ina Maria Graveurs, 1929 in Zwickau geboren und selbst betroffene, hat sich 1979 wie folgt geäußert:
Heimat sei „heile Welt“ und nur in der Dreiheit von Gemeinschaft, Raum und Tradition zu finden, denn nur hier werden die menschlichen Bedürfnisse nach Identität, Sicherheit und aktiver Lebensgestaltung in einem kulturell gegliederten Territorium befriedigt. [Auf jeden Fall stellt Heimat, oder besser: die Auseinandersetzung mit Heimat, eines neben anderen Identifikationsfeldern dar, die Ich-Identität bilden.]
Jeder hat eine andere Definition von Heimat.
Unsere Heimat prägt uns, schafft Identität, wenn wir sie verlassen, sind wir entwurzelt und brauchen neuen Halt. Diesen Halt gewinnen wir durch gemeinsames Tun, durch „aktive Lebensgestaltung in einem kulturell gegliedertem Territorium“. Kunst und Kultur spielen dabei eine vielseitige Rolle:
In den Künsten wird das sichtbar, was uns Menschen miteinander verbindet, über die verschiedenen Kulturen hinweg. Die Dinge, die uns wirklich bewegen unsere Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte haben wir gemeinsam. In den Werken der Kunst wird das gemeinsame Humanum sichtbar.
Sie zeigen uns aber auch die Unterschiede, denn Kunst reflektiert ja immer auch die gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeit und gibt Einblick in die Seele einer Kultur und Gesellschaft.
Die Beschäftigung mit Kunst kann daher in hervorragender Weise zum wechselseitigen Verstehen beitragen und dazu anregen, einen anderen Blick auf die Welt zu haben. Dadurch entsteht die geistige Offenheit, die für ein tolerantes und menschliches Miteinander unabdingbar ist.
In diesem Sinne wird diese Ausstellung einen Beitrag leisten und zu einem Perspektivwechsel einzuladen.
Ulrike Janssen wirft mit Ihrer aus einem Theaterstück abgeleiteten Installation, die eine Mischung aus dokumentarisch und fiktionalen hochverdichtenden poetischen Text-, Bild- und Tonmaterial ist, Fragen auf, die helfen sollen, die in der Fremde ankommenden Menschen besser zu verstehen, indem wir in die Lage versetzt werden, Ihren Blickwinkel kennenzulernen.
Sie verwendet dafür die Räume der verlassenen Ermekeilkaserne, die das transitorische der Fluchtsituation unterstreichen.
Wie fühle ich mich
– nach dem Verlust der Heimat, der gewohnten Umgebung, Landschaft, der sozialen Bezüge, der mir vertrauten Menschen?
– ohne Privatsphäre und der Möglichkeit, sich ein zu Hause zu schaffen?
– ohne zu wissen, was mich erwartet?
– ohne Wissen, wie ich empfangen werde?
Die Arbeitsmigranten unter uns können dies möglicherweise ein wenig nachempfinden…
Doch deren Ausgangssituation ist gänzlich anders.
Sie wissen aber, wie man sich fühlt, wenn man sich sprachlich noch nicht angemessen verständigen kann.
Wenn die vertraute Umgebung fehlt, die vertrauten Menschen.
Es gibt aber auch die Erfahrung, dass man in mehreren Heimaten zu Hause sein kann.
Und das hängt nicht nur von den eigenen Fähigkeiten ab, sich neu binden zu können, sondern auch von der Bereitschaft der „Neuen möglichen Heimat“ einem aufzunehmen.
Was diese Ausstellung mit Verweis auf unsere eigene Geschichte zeigt, knüpft an das an, was wir derzeit in Deutschland aktuell erleben, schließt den Kreis zu den derzeit hier ankommenden Flüchtlingen.
Damals waren die die Unterschiede der aufnehmenden und ankommenden Menschen deutlich geringer.
Die Flüchtlinge und Vertriebenen gehörten mehr oder weniger dem gleichen Kulturkreis an, hatten eine ähnliche Kulturtradition.
Hatten die gleiche Religion.
Die gleichen Erfahrungen aus zwei verheerenden Weltkriegen.
Beide waren zugleich Täter wie Opfer, obwohl es lange dauerte, dies auch zu erkennen und zu akzeptieren.
Auch heute müssen wir die Frage stellen, inwieweit unsere westliche Gesellschaft Verantwortung für die Gründe der Migrationsbewegung trägt. Die Antwort darauf wird vielleicht nicht ganz leicht zu finden sein.
Im Moment ist es jedoch viel wichtiger, wie wir mit den Herausforderungen an uns und die Gesellschaft umgehen.
Die spürbare Hilfsbereitschaft des Großteils unserer Bürgerinnen und Bürger muss nun auch eine organisatorische Struktur finden. Außerdem müssen wir die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, die eine Zu- und Einwanderungsgesellschaft benötigt.
Um die Integration der hier ankommenden Menschen zu ermöglichen, müssen wir uns mit viel Engagement und Sensibilität kümmern.
Die Art und Weise, wie wir die nun bei uns ankommenden Menschen aufnehmen ist entscheidend für das Gelingen ihrer Integration. Es könnte ein neues Narrativ entstehen, das auch die aufnehmende Bevölkerung in bereichernder Weise verändert.
Dieses Narrativ hat mi dem Bilden einer Willkommenskultur bereits in ermutigender Weise begonnen.
Die Ausstellung Displaced Persons kann diesen Impuls bei jedem Einzelnen auslösen. Daher hoffe ich, dass viele Menschen diese Ausstellung besuchen und erleben.
Als Vertreter der Stadt und für die Kultur Verantwortlicher freue ich mich sehr über diese Initiative. Es ist das richtige Signal in einer Zeit, in der viele schreckliche Ereignisse über die fehlende Aufnahmebereitchaft zu konstatieren sind und Menschen, die sich für Toleranz und Freiheit einsetzen sogar tätlich angegriffen werden.
Bonn als internationale Stadt, die es gewohnt ist, neu ankommende Menschen aufzunehmen, bietet dafür sehr gute Voraussetzungen.
Die Ausstellung wird einen weiteren Beitrag dazu leisten.
Ich möchte daher allen danken, die an diesem Projekt mitgewirkt haben. Mein besonderer Dank gilt Frau Janssen und allen Akteuren der Ermekeilinitiative.
Lassen Sie uns weiterhin Projekte dieser Art planen und verwirklichen. Sie tragen wie gesagt in hervorragender Weise dazu bei, die geistige Offenheit zu schaffen, die für ein gutes Miteinander in unserer Stadtgesellschaft notwendig ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit